David Raab ist Gründer und CEO des Customer Data Platform Institute – und kein Unbekannter in der MarTech-Welt. Er prägte 2013 den Begriff „Customer Data Platform (CDP)“ und hat seither unzähligen Unternehmen weltweit dabei geholfen, ihre Kundendaten intelligenter zu nutzen. Zudem ist David Raab Autor des Buches The Marketing Performance Measurement Toolkit und Absolvent der Columbia University sowie der Harvard Business School.
Im Interview spricht David Raab mit uns über die Ursprünge von CDPs, den Unterschied zu CRMs, häufige Stolperfallen bei der Implementierung, den Einfluss von KI auf Datenstrategien – und worauf Unternehmen heute achten sollten, wenn sie aus ihren Daten echten Mehrwert schaffen wollen.
Experteninterview über Kundendaten und KI
F: Was genau ist eine CDP?
David: Eine Customer Data Platform (CDP) hilft dir dabei, Kundendaten aus verschiedenen Quellen zu bündeln und sauber zu strukturieren – egal ob sie aus Online-Käufen, dem Webtracking oder einem Telefongespräch im Kundenservice stammen.
So hast du stets alle relevanten Infos an einem Ort und es entstehen vollständige Kundenprofile, die du für gezieltere Kommunikation und bessere Entscheidungen nutzen kannst – ohne ständig zwischen Systemen springen zu müssen.
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F: Du hast 2013 den Begriff "Customer Data Platform" ins Leben gerufen. Was war damals die Marktlücke?
David: Damals fiel mir auf, dass Tools wie Marketing Automation oder Predictive Modelling begannen, ihre eigene Kundendatenbank zu integrieren. Das war neu – bisher war es üblich, eine separate, individuell entwickelte Datenbank zu bauen und die Anwendung daran anzubinden.
Dieses Modell hatte den Vorteil, dass ein Tool flexibel von vielen Unternehmen genutzt werden konnte – aber das bedeutete auch: Solche Software konnte nur an Unternehmen verkauft werden, die bereits über eine eigene Kundendatenbank verfügten. Indem die Anwendungen ihre eigene Datenbank mitbrachten, konnten sie plötzlich auch Firmen bedienen, die diese Voraussetzung noch nicht erfüllten.
Die Idee einer „verpackten“, standardisierten Kundendatenbank war zu dem Zeitpunkt also ein echter Paradigmenwechsel. Es fehlte nur noch ein Begriff dafür – und da die Abkürzung „CDP“ noch frei war, habe ich sie einfach verwendet.
F: CDP vs. CRM – wo liegen die Unterschiede?
David: Viele CRMs sind gar nicht dafür gemacht, Online- und Offlinedaten zusammenzuführen oder diese für BI-Analysen oder Ad-Kampagnen bereitzustellen. Genau hier setzt die CDP an: Sie kann verschiedenste Datenquellen – von Webtracking bis Kassensystem – zusammenführen, strukturieren und für Analysen oder personalisiertes Marketing nutzbar machen.
Je deutlicher Unternehmen erkennen, dass eine wirksame Kundenstrategie auch Daten außerhalb des CRMs braucht, desto stärker rückt die CDP ins Zentrum. Gleichzeitig macht die CDP das CRM leistungsfähiger – indem sie es mit einem umfassenderen Kundenprofil speist. Denn: CRMs arbeiten in der Regel nur mit Daten, die innerhalb ihres eigenen Systems erzeugt wurden.
„Je klarer der Bedarf wird, auch Daten jenseits des CRMs in die Kundenstrategie einzubeziehen, desto zentraler wird die Rolle der CDP.“
F: Was ist der größte Fehler beim CDP-Rollout?
David: Ganz klar: Das Team nicht früh genug mit ins Boot holen. Wer nicht weiß, was das Ziel ist, kauft am Ende das falsche Tool – oder nutzt es nicht.
Der zweithäufigste Fehler ist, eine Lösung rein nach dem Preis statt nach den Funktionen auszuwählen. Auch das hängt oft mit mangelnder Nutzerbeteiligung zusammen.
Wer nicht genau weiß, was er braucht, geht automatisch davon aus, dass alle Anbieter gleich sind – und entscheidet sich dann fürs günstigste System. Nur wer die echten Use Cases kennt, erkennt auch, welche Features wirklich wichtig sind.
F: Wie sollten Unternehmen ihre CDP- und CRM-Strategien mit Blick auf Datenschutz und Compliance ausrichten?
David: Datenschutz und Compliance dürfen nicht nachträglich aufgesetzt werden – sie müssen fester Bestandteil jeder Datenstrategie sein. Das CRM eignet sich ideal, um Einwilligungen zu erfassen und zu speichern. Die CDP wiederum ist der richtige Ort, um diese Einwilligungen und andere Datenschutzanforderungen bei der Nutzung der Daten anzuwenden.
Wer eine CDP als zentrale Datenquelle für alle Aktivitäten nutzt, kann viel besser nachvollziehen, was mit den Daten passiert – und bleibt so auf der sicheren Seite bei DSGVO & Co.
Gleichzeitig ist Datenschutzmanagement eine komplexe Aufgabe. Deshalb setzen viele Unternehmen zusätzlich auf spezialisierte Privacy Management Systeme, die mit der CDP integriert werden und sich um die operativen Details kümmern.
Die Anforderungen werden zudem immer strenger – von der DSGVO über das französische LIL bis hin zum CCPA in Kalifornien. Eine leistungsfähige CDP ist hier nicht nur hilfreich, sondern in vielen Fällen unverzichtbar: Sie schafft einen sicheren Rahmen für die Nutzung von First-Party-Daten, verbessert die Kontrolle über die Datenverarbeitung und reduziert das Risiko von Verstößen oder Datenpannen. Und nicht zuletzt stärkt sie das Vertrauen deiner Kund:innen in den Umgang mit ihren Daten.
F: KI gilt als Game-Changer im datengetriebenen Marketing. Wie verändert sie die Rolle von CDPs in den nächsten Jahren?
David: Heute sehen wir schon, wie KI bestehende CDP-Funktionen auf ein neues Level hebt – z. B. bei der Datenmodellierung, Qualitätskontrolle, Identitätsauflösung, Datenextraktion oder bei der Segmentierung und Prognose.
Zukünftig wird KI aber noch autonomer handeln: Sie könnte gezielt die passenden Daten für bestimmte Zwecke automatisch abrufen – selbst wenn diese noch gar nicht in der CDP gespeichert sind. Damit wäre KI auch in der Lage, ganze Kampagnen zu planen und Inhalte zu generieren – vollautomatisiert.
Derzeit funktioniert das alles auf Basis der Daten, die eine CDP bereitstellt. Wenn KI aber selbst beginnt, diese Daten zu erzeugen – etwa durch dynamische, kontextbasierte Profilbildung – könnte das klassische CDP-Modell überholt werden.
Die Herausforderung: Trotz aller Automatisierung dürfen wir die zentralen Vorteile einer stabilen CDP nicht verlieren – etwa klare Datenschutzprozesse oder ein konsistentes Kundenerlebnis über alle Kanäle hinweg.
F: Was bringt die Zukunft für CDPs und Customer Engagement?
David: Derzeit ist klar erkennbar: Der Trend geht dahin, dass CDPs direkt in Customer-Engagement-Plattformen eingebettet werden. Für die Anbieter ist das strategisch klug – denn so bewegen sie sich von der reinen Anwendungsebene (wo sie leicht durch ähnliche Tools ersetzt werden können) hin zur Plattformebene. Und dort ist ein Austausch deutlich schwieriger, weil die Plattform meist tief mit anderen Systemen im Unternehmen verknüpft ist.
Das Problem dabei: Man kann nicht jede Anwendung zur Plattform machen. Genau das ist ja der Sinn einer Plattform – dass man nur eine davon hat.
Deshalb ist es aus Sicht der Nutzer:innen nicht immer von Vorteil, wenn jede Anwendung versucht, sich selbst zur Plattform aufzuwerten. Die wirklich smarten Anbieter erkennen das – und gestalten ihre integrierte CDP so, dass sie optional bleibt. Wer möchte, kann also weiterhin eine externe CDP anbinden und ist nicht gezwungen, die integrierte Lösung zu nutzen.
Umgekehrt sollten integrierte CDPs auch offen genug sein, um mit Anwendungen anderer Anbieter zu kooperieren. Wenn das gelingt, profitieren am Ende die Nutzer:innen – durch mehr Auswahl, mehr Flexibilität und bessere Integration.
F: Wie passen „agentische“ bzw. autonome CRM-Systeme – die eigenständig datengetriebene Entscheidungen treffen – in deine Vorstellung der künftigen Martech-Landschaft?
David: Autonome CRMs bringen zweifellos einen großen Innovationsschub. Aber sie verändern nicht die grundsätzliche Architektur unserer Kundensysteme. Ob eine Kundin bzw. ein Kunde mit einem Menschen oder mit einer KI spricht – die Daten landen im selben CRM. Und die Verbindung zur CDP oder zu anderen Systemen bleibt bestehen.
Was sich ändert, ist die Intensität: Ein autonomes CRM kann schneller und umfassender auf Daten zugreifen – und fordert dadurch auch von den angeschlossenen Systemen mehr Leistung.
Langfristig ist denkbar, dass solche „agentischen“ Systeme automatisch kanalübergreifend arbeiten – also CRM, Marketing Automation, Website oder E-Mail nahtlos miteinander verzahnen. Das könnte zu einer stärkeren Verschmelzung dieser Systeme führen. Gleichzeitig braucht es eine zentrale Entscheidungsinstanz, die die beste Maßnahme für die jeweilige Kund:in wählt – auch wenn die Ausspielung dann wieder kanalgetrennt erfolgt.
F: Was sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Strategien, um das volle Potenzial einer CDP zu nutzen?
David: Erstens: Nutzt die CDP use-case-basiert. Das heißt: Nicht einfach blind Daten sammeln, sondern gezielt die Informationen zusammenstellen, die für konkrete, wertvolle Anwendungsfälle nötig sind.
Zweitens: Datenqualität und Governance – vom Ursprungssystem bis zur Transformation in der CDP. Denn nur mit zuverlässigen Daten lassen sich auch fundierte Entscheidungen treffen.
Drittens: Echtzeitfähigkeit. Wer in der Lage ist, sofort zu reagieren, schafft relevantere Erlebnisse für Kund:innen – und hebt sich deutlich vom Wettbewerb ab.
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F: Wie gelingt eine wirklich kundenzentrierte Datenstrategie?
David: Stell dir bei jedem Schritt die Frage: Was bringt das meiner Kundin bzw. meinem Kunden?
Wer konsequent aus der Perspektive seiner Kundschaft denkt, erkennt die relevantesten Hebel für eine bessere Customer Experience. Und genau die entscheidet langfristig über den Geschäftserfolg. Klar: Auch Kostensenkungen sind wichtig – aber das sind eher operative Themen, keine strategischen Treiber.
„Die Welt mit Kundenaugen zu sehen, ist der beste Weg, um echte Verbesserungen in der Customer Experience zu identifizieren.“
F: Auf welche Kriterien sollten Unternehmen bei der Auswahl einer CDP besonders achten – Skalierbarkeit, Integration oder Preis?
David: Die Wahrheit ist: Alles davon ist wichtig. Es wäre ein Fehler, sich nur auf ein Kriterium zu versteifen. (Die Beratergilde würde jetzt sagen: „Es kommt darauf an.“ Und sie hätte recht.)
Unsere Recherchen zeigen allerdings: Integrationsfähigkeit steht bei erfolgreichen Käufer:innen ganz oben. Danach folgen Features und Usability.
Und was den Preis betrifft: Der sollte wirklich ganz am Ende der Liste stehen. Ein günstiges Tool bringt dir nichts, wenn es nicht zu deinen Anforderungen passt. Oft wird auf den Preis geschaut, weil man meint, die Tools seien alle gleich. Das ist fast nie der Fall – und zeigt eher, dass die Evaluierung nicht tief genug ging.
Fazit
CDPs sind längst kein "Nice to have" mehr, sondern ein zentrales Element erfolgreicher Datenstrategien. Wer das volle Potenzial ausschöpfen will, sollte klar definierte Use Cases verfolgen, auf Datenqualität achten und Echtzeit-Möglichkeiten nutzen. Nur so lässt sich die Kundenansprache messbar verbessern – personalisiert, datenschutzkonform und skalierbar.
David Raab bringt es auf den Punkt: Wer datengetriebenes Marketing mit einem echten Kundenfokus betreibt, ist langfristig erfolgreicher aufgestellt.